Der Golem

Gelesenes | 7. Juni 2009

Prag um 1914. Der anonyme Erzähler der Geschichte, zu Besuch in Prag, hat vor dem Zu-Bett-Gehen in einem Buch über das Leben Buddha Gotamas gelesen. Er träumt von Athanasius Pernath der um 1890/1891 im Prager Ghetto lebt und dessen Hut er in der Kirche versehentlich mit seinem eigenen verwechselt hat. (Gustav Meyrink, Verlag Ullstein)

Der ca. vierzigjährige Athanasius Pernath lebt als Gemmenschneider und Restaurator von Antiquitäten im Judenviertel von Prag. Pernath hat psychische Probleme. Er kann sich an seine Vergangenheit nicht erinnern, hat immer wieder Gedächtnislücken, Krampfanfälle und Wahnvorstellungen. Was Pernath zusammenhält ist seine Liebe, für die ebenfalls etwas verrückte, schöne Jüdin Mirjam, die Tochter des Archivars Hillel, der sein Nachbar ist. Mirjam glaubt an Wunder, will Wunder erleben, erwartet Wunder und ist selber dabei ziemlich wunderlich.

Pernaths Probleme verstärken sich noch, als ein Unbekannter ihm einen alten Folianten bringt. Die Initiale I am Beginn des Kapitels „Ibbur“ (Seelenschwängerung) muss restauriert werden. Wie ein Geist ist der Besucher plötzlich wieder verschwunden. Pernath vermutet, dass der mysteriöse Auftraggeber, an dessen Gesicht er sich nicht erinnern kann, der Golem gewesen sei, der alle 33 Jahre in Prag umhergehen soll.

Durch dieses Ereignis gerät Pernaths ohnehin bereits angeknackste Psyche noch weiter aus den Fugen. Erschwerend kommt hinzu, dass er in den Rachefeldzug des Medizinstudent Charousek gegen gegen den Trödler Aaron Wassertrum verwickelt wird, in den auch eine alte Bekannte aus Pernaths früherem Leben verwickelt ist, in die er wohl mal verliebt war, woran er sich aber nur schemenhaft erinnern kann, außerdem ist sie verheiratet und liebt einen anderen, mit dem sie eine Affäre hat.

Gustav Meyrink, 1868 in Wien geboren, schrieb mit dem Golem einen Klassiker der phantastischen Literatur. Es handelt sich bei dem Roman nicht um eine Adaption des jüdischen Mythos vom Golem - einem, mittels Buchstabenmystik zu Lebendigkeit verholfenen Wesen aus Lehm - im engeren Sinn, sondern um ein impressionistisches Traumbild vor dem Hintergrund der Sage, die beim Leser letztlich als bekannt vorausgesetzt wird. Die Titelfigur taucht im Roman selber gar nicht auf; inwieweit der Ich-Erzähler selbst phasenweise die Gestalt des Golem annimmt, bleibt offen.

Eine schön zu lesende Geschichte aus der untergegangenen Welt des jüdischen Prags vor dem ersten Weltkrieg. Die Ausgabe aus dem Ullstein Verlag wird bereichert von »kongenialen Illustrationen« von Hugo Steiner-Prag, einem Zeitgenossen Meyrinks. »Ein Klassiker der phantatastischen Literatur.« Berliner Zeitung