Judas

Gelesenes | 14. Januar 2020

Judas Iskarioth ist das Studienobjekt von Schmuel Asch, einem Studenten an der historischen Fakultät der Universität Jerusalem. Sein Leben ändert sich grundlegend, als seine Freundin einen anderen heiratet und die Eltern sein Studium nicht mehr finanzieren können. (Amos Oz, Suhrkamp)

Die Geschichte spielt im Winter 1959/60 in Jerusalem, nicht allzu lange nach der Gründung des Staates Israel. Schmuel, der durch die Zersplitterung seines Arbeitskreises zur sozialisitschen Erneuerung auch seiner letzten verbliebenen sozialen Kontakte beraubt wird, entschließt sich trotz der Einwände seines Professors, sein Studium abzubrechen um sein Leben neu zu ordnen.

Er findet über eine Anzeige am Schwarzen Brett der Universität eine Anstellung als Gesellschafter und als eine Art intellektueller Sparringspartner für Gerschom Wald, einem alten Mann, der ein Haus am Rand der Stadt bewohnt. Für ein wenig Konversation und das Servieren von Brei und Tee wird ihm freie Kost und Logis sowie ein kleines Gehalt geboten. Für Schmuel erscheint dies die ideale Lösung seiner Probleme zu sein. Den Haushalt führt Atalja, eine anfangs undurchschaubare, begehrenswerte Frau, doppelt so alt wie Schmuel, der von dem alten Mann eindringlich davor gewarnt wird, sich in sie zu verlieben.

Atalja ist die Tochter von Shealtiel Abrabanel, eines - fiktiven - gescheiterten Politikers. Eines Dissidenten, der als Zionist und Mitstreiter des - realen - Staatsgründers David Ben Gurion eine wichtige Rolle in der Geschichte des Landes spielte. Er lehnte die Gründung eines jüdischen Staates vehement ab und stellte sich zusammen mit seinen arabischen Freunden eine Gesellschaft vor, in der Araber und Juden ohne traditionelle staatliche Strukturen gemeinsam friedlich leben könnten.

Parallel dazu, erfährt man durch Schmuels wissenschaftliche Reflektionen mehr über Judas, der als Spion der jüdischen Priesterschaft Jesus auskundschaften soll und doch als dessen begeisteter Anhänger seine eigentlichen Auftraggeber verrät. In der Hoffnung, dass mit der Kreuzigung des vermeintlichen Messias das Königreich des Himmels beginnt verrät Judas wiederum Jesus, der zur Enttäuschung von Judas aber wie jeder gemeine Mensch ohne die erhofften Folgen am Kreuz stirbt. Letztlich sieht Judas seine Hoffnungen verraten und nimmt sich bekanntlich das Leben. Schmuel stellt die These auf, das es ohne Judas keine Kreuzigung und in Folge auch keine christliche Religion gegeben hätte und Jesus ein jüdischer Wanderprediger unter vielen geblieben wäre.

Es wird sich herausstellen, dass Atalja die Schwiegertochter des alten Mannes ist. Nach ihrer Heirat mit Micha, Gerschoms einzigem Kind, lud Ataljas Vater trotz politisch gegensätzlicher Überzeugungen Gerschom ein, gemeinsam sein Haus zu bewohnen. Nachdem Micha im ersten Arabisch-Israelischen Krieg von 1948 getötet wurde, verlor Gerschom alle Hoffnung auf die Zukunft. Mit der Zeit konnten die Männer nicht mehr friedlich miteinander reden und Ataljas Vater zog sich in die verschlossene Welt seines Zimmers zurück, stets überzeugt, die Staatsgründung sei ein hoffnungsloser Fehler gewesen und der Staat würde früher oder später durch die Übermacht der Araber zerstört werden.

Trotz Gerschoms Warnungen verliebt sich Schmuel in Atalja. Doch sie gibt dieser Liebe keine Chance. Schon sehr früh teilt sie Schmuel mit, dass sie Männer nur so lange interessieren, bis sie sie kennengelernt hat. Trotzdem geht sie unregelmäßig mit Schmuel aus und trotzdem schläft sie einmal mit ihm. Wohl mehr aus Mitleid ob seiner Unbeholfenheit. Schließlich verläßt Schmuel das Haus, seine Bewohner und auch die Stadt. Er zieht in eine neugegründete Stadt am Berg Ramon, um dort ein neues Leben zu beginnen.

»Ein Buch, in dem man wohnen will.« (Hannes Stein, Die Literarische Welt)