Die Reisen Benjamins des Dritten

Gelesenes | 16. Dezember 2019

Benjamin hasst die Enge seines Dorfes und seiner Ehe. Er liebt alte Reiseberichte über die Heilige Stadt Jerusalem und träumt von einer Reise auf den Spuren Alexanders des Großen. Ein Klassiker, eine Satire, ein jüdischer Don Quijote in einer kommentierten Neuübersetzung. (Scholem J. Abramowitsch, Carl Hanser Verlag)

Der Tunichtgut Benjamin führt kein zufriedenes Leben. Eines Tages überredet er seinen Freund Senderl mit ihm aus dem bisherigen Leben zu fliehen. Mit Senderl verbindet Benjamin das Leben des Verlierers. Senderl, der im Dorf »Das Weib« genannt wird, ist ein schlichtes Gemüt, dem es völlig an eigenem Willen fehlt. Die Kinder des Dorfes lachen über ihn, seine Frau verachtet und unterdrückt ihn. Sein Motto lautet »Was kümmert mich das?«. So verlassen sie das Dorf, ihre Frauen und Kinder und reisen wie Don Quichote und Sancho Pansa, von Missgeschicken verfolgt, durch die ukrainische Provinz. Sie begegnen Menschen abseits ihres jüdischen Mikrokosmos und werden begleitet von allerlei alten jüdischen Legenden und Volksmärchen, wie zum Beispiel das über die jenseits des Sambation-Flusses lebenden »Roten Juden«, den am Weltrand hausenden Nachkommen der verlorenen Stämme Israels.

Die Reise durch arme Dörfer und über schmutzige Straßen bringt sie nach Schitomir (im Buch »Teterewke« genannt), dessen Treiben sie überwältigt und wo die beiden den Winter verbringen bis sie schließlich dem Rabbiner ihres Dorfes samt Senderls verlassener Frau begegnen. Die darauf folgende Flucht führt sie nach Kiew, wo sie von zwei Glaubensbrüdern als Ersatz für sich selbst an das russische Militär verkauft werden. Im Gegensatz zu Senderl findet sich Benjamin mit seinem Schicksal nicht ab. Er will seine Reise ins gelobte Land Jisroel vollenden und überredet Senderl zur Flucht, die nur kurz gelingt und vor einem Militärgericht endet. Dort gibt man den beiden nach einer flammenden Rede Benjamins schließlich die Freiheit zurück.

In seinem Erscheinungsjahr 1878 war dieser witzige Roman eine riskante politische Satire auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im zaristischen Russland. Das 100seitige Nachwort der Übersetzerin Susanne Klingenstein erklärt das historische und literarische Umfeld Abramowitschs. Hinzu kommen sehr hilfreiche Anmerkungen sowie eine mehrseitige Bibliographie.

»Abramowitschs Benjamin ist auf das schönste und komischste verrückt. Er wird nie ins Heilige Land kommen, aber sein ihn ganz ausfüllender Traum ist in Komik und Trauer der Ausdruck der Sehnsucht der Juden im Exil.« (Martin Walser)