Die Fahrt der Argonauten

Gelesenes | 21. November 2011

Neben einer bemerkenswerten archäologischen Entdeckung (minoische Fundstücke im nordfriesischen Watt), über die bereits in früheren Büchern berichtet wurde, erfährt der Leser unzählige Details über Materialkunde und deren Geschichte, über Mythen und Sagen, Etymologie, Handelswege und wie Menschen vor Jahrtausenden bereits miteinander kooperierten.

Auf der Suche nach der im Mittelalter in der Nordsee versunkenen Stadt Rungholt machen der Ethnologe Hans Peter Duerr und seine Studenten im Frühjahr 1994 eine ungewöhnliche Entdeckung. Im nordfriesischen Watt zwischen den Inseln Pellworm und Nordstrand stoßen sie unterhalb einer bronzezeitlichen Moorschicht auf seltsame Keramikscherben, Brocken von Duftharz, exotische Muscheln und später auf ein Siegel, einen Lapislazuliblock und andere Objekte, wie sie nördlich der Alpen noch nie gefunden worden waren. Erst eine Neutronenaktivierungsanalyse an der Universität Bonn sowie chemische Untersuchungen und C14-Altersbestimmungen an weiteren deutschen und englischen Forschungsinstituten lassen den Verdacht zur Gewißheit werden: Die Keramik wurde um 1300 v. Chr. im südlichen Kreta und in Palästina gebrannt und muß um diese Zeit gemeinsam mit dem Weihrauch, dem afrikanischen Kopalharz und den anderen Funden auf minoischen Schiffen an die Nordseeküste gelangt sein. Dort wurden die Objekte anscheinend von den Seefahrern geopfert – als Dank an die wohlwollende Meeresgöttin, deren Name auf der Rückseite des Serpentin-Siegels in minoischer Linear-A-Schrift unter der Gravierung eines Schiffes eingeschnitten ist. Solche Siegel – und dieses ist das erste, das jemals außerhalb der Ägäis gefunden wurde – waren kein Handelsgut, und deshalb gelten sie als Beweis für die Anwesenheit ihres Besitzers am Fundort. Dies bedeutet wiederum, daß eine Expedition aus dem östlichen Mittelmeer tausend Jahre vor dem Griechen Pytheas, der als Entdecker der Nordsee gilt, auf der Suche nach Zinn und Bernstein weit über die Grenzen der damaligen Welt hinausgefahren ist. Ein Unternehmen wie dieses war gewiß das Vorbild für die späteren Legenden von den Irrfahrten des Odysseus oder die Suche der Argonauten nach dem Goldenen Vlies.

»Dürr hat ein großartiges, faszinierendes, wenngleich ausgesprochen wissenschaftliches Werk vorgelegt, aber der interessierte Leser (und es sind ihm viele zu wünschen) sollte sich davon nicht abschrecken lassen. Das Buch ist leicht lesbar und enthält einen solchen Reichtum an den geistigen Horizont erweiternden Informationen und Aha-Erlebnissen, dass die Lektüre zum Vergnügen wird.« (Armin Jähne, Neues Deutschland)